SHIMSHAL
Schomberg berichtet 1934 über Shimshal: “Insgesamt war ich angenehm überrascht von dem Tal, dass so ziemlich das abgelegenste und unwegsamste Gebiet im Indischen Imperium sein müsste, abgeschnitten von der Aussenwelt und kaum besucht, weder von Fremden noch von Einheimischen.”[1]
Es ist gerade diese Isolation, die zu dem Erhalt der ursprünglichen Kultur geführt hat, in der die jahrhunderte alten Traditionen und Bräuche noch aktiv gelebt werden. Das Shimshal Tal liegt auf einer Höhe von 3.200m und unterteilt sich grob in vier Siedlungsgebiete entlang des Tals, Khizrabad, Central Shimshal, Aminabad und Farmanabad. Die Stammeslinien unterteilen sich in drei Gruppen, die Gazikator, Bakhtikator and Baqikator. Die Herkunft der Shimshali wird in Zentralasien
vermutet, von wo aus sie durch den Wakhan Korridor in das heutige Pakistan eingewandert sind. Die Einheimischen sprechen Wakhi und sind Anhänger des ismailitischen Islams, einer sehr liberalen Untergruppe der Schiiten, mit ihrem religiösen Oberhaupt, dem Aga Khan.
Shimshal betreibt eine Subsistenzwirtschaft, neben dem auf das Haupttal beschränkten Ackerbau besonders die Viehzucht von Ziegen, Schafen und Yaks. Die vielen Hochtäler bieten ausreichend Sommerweiden, die eine erfolgreiche Wanderweidewirtschaft ermöglichen. Shimshal ist vor allem brühmt für seine Yakherden und jedes Jahr feiern die Einheimischen das Woolio – ihr eigenes Yakfestival mit einem Yakrennen auf dem Shimshal Pass.
Auf seiner Shaksgam Expedition 1937 beschreibt Shipton die Einheimischen:
"In all unserem Umgang mit den Shimshali, haben wir sie mit ihrer Freundlichkeit, Höflichkeit und gutem Humor kennen gelernt. Die Gesellschaft der Shimshali ist bemerkenswert für ihre Isolation und völlig unabhängig von jeglicher Unterstützung durch die Außenwelt. Aus jeder Richtung ist ihr Land schwer zu erreichen, aber sie verfügen über ausreichend Acker- und Weideland. (…) Sie bauen Gerste, Weizen und Erbsen an, deren Mehl zusammen mit Käse, Butter und Quark die Grundnahrungsmittel darstellen. Gemüse wird kaum angebaut. Sie sind starke und gesunde Menschen. Eine glückliche Gesellschaft, die eine ideale Existenz in einer großartigen Umgebung führt. Das Land ist schwierig und die Bedingungen ernst genug, um in diesen Menschen die nötige Härte zu fördern, ohne die es nach meiner Ansicht für die Menschheit nicht möglich wäre, zufrieden zu sein."[2]
Shimshal wird von mächtigen Gebirgszügen umgeben. Im Norden steht der Karun Koh (7.164m) und im Süden die Hispar Muztagh Kette mit seinen massiven Gipfeln über
7.000m, wie beispielsweise dem Bularung Sar (7.134m), Lupghar Sar (7.200m), Malangutti Sar (7.207m), Yazghil Dome (7.324m), Momhil Sar (7.343m), Pumari Chhish (7.492m), Yukshin Gardan Sar (7.530m), Trivor (7.577m), Kanjut Sar (7.760m), Kunyang Chhish (7.852) und Disthagil Sar (7.885m).
Die großen Gletscher, die von diesen Bergen nördlich ins Tal fließen bilden den Shimshal Fluß und damit die Grundlage allen Lebens in Shimshal. Gleichzeitig stellt ihre unkontrollierbare Urgewalt aber auch eine persistente Bedrohung allen Lebens dar.
Genau hier in Shimshal notierte Visser 1925: “Hier im Hochgebirge, wo beinahe kein Tier mehr atmet und keine Pflanze mehr wächst, fühle ich das Leben der Natur viel mehr als irgendwo sonst auf Erden. Hier fühle ich die schaffende Urkraft rings um mich, dieselbe Kraft, die überall im endlosen Weltraum wirkt, hier fühle ich sie gehäuft in den mit Riesenkraft vorwärts schiebenden Eismassen, hier weiß ich sie nahe in den federleichten Schneeflocken, die den Gletscher neue Energie schenken, hier fühle ich sie in den Bergen erzittern.[3]“
Das genau diese wunderschöne Bergwelt mit ihrer unbändigen Naturgewalt gleichzeitig unkontrollierbare Gefahren birgt, wird besonders durch die riesigen Gletscher sichtbar, die in trauriger Regelmäßigkeit die Gletscherströme zu Seen aufstauen, um dann bei einem Durchbruch als unaufhaltsame Flutwelle in das Tal zu strömen und alles zu vernichten, was sich in den Weg stellt: Brücken, Häuser, große Teile des wertvollen Ackerlandes, alles wird zerstört und weggerissen, wie Beispiele aus der jüngere Geschichte zeigen:
1905 kam es aufgrund von Gletscherverschiebungen in Shimshal, besonders durch den Malangutti und Khurdophin Gletscher, zu einer Flutkatastrophe, die Flußabwärts in Pasu und Husseini zu großen Zerstörungen der Ackeflächen geführt hat. Dies wiederholte sich 1906 mit großen Verwüstungen der Siedlungsgebiete flussabwärts. In Gilgit wurde ein anschwellen des Hunza Flusses um 15m über den Sommerpegel gemessen und weiter unterhalb bei Bunji überstieg der Fluß das übliche Sommerniveau noch über 9m.[4]
Visser hatte “gehört, daß vor ungefähr zehn Jahren (1915) das ganze Dorf Shimshal durch eine Überschwemmung weggefegt worden war.”[5]
Eine weitere Flutkatastrophe zerstörte 1964 viele Terrsassenfelder und die Hälfte der historischen Siedlung von Shimshal.[6] Die Spuren der Zerstörung sind bis heute noch sichtbar. Diese Flut wurde wahrscheinlich durch einen Dammbruch des Virjerab verursacht. Kreuzmann erwähnt in seiner Arbeit, dass in den 60er Jahren der Name des Virjerab Gletschers als Synonym für Zerstörung stand,[7] der Felder, Straßen und ganze Häuser der Siedlungen bis weit hinter den Zusammenfluss von Shimshal und Hunza Fluß weggespült hat. Dornell & Hamidullah konnten alleine zwischen 1884 und 1959 acht größere Flutkatastrophen nachweisen.[8]
[1] Schomberg, R.C.F., Unknown Karakoram, 1934.
[2] Shipton, Eric: Blank on the Map, 1938, in: Shipton, Eric: The Six Mountain Travel Book, 2012, p.296.
[3] Visser, Ph. C.: Zwischen Karakorum und Hindukusch, Leipzig 1928, p.179.
[4] Kreutzmann, Hermann, “After the flood. Mobility as an adaption strategy in High Mountain Oases. The case of Pasu in Gojal, Hunza Valley Karakoram.”, Die Erde 143 2012 (1-2), p.61
[5] Visser, Ph. C.: Zwischen Karakorum und Hindukusch, Leipzig 1928, p.169.
[6] WWF for Nature Pakistan, Socio-economical Survey of Shimshal Valley, Hunza, Gilgit, p.7
[7] Kreutzmann, Hermann, “After the flood. Mobility as an adaption strategy in High Mountain Oases. The case of Pasu in Gojal, Hunza Valley Karakoram.”, Die Erde 143 2012 (1-2), p.62 www.geo.fuberlin.de/geog/fachrichtungen/anthrogeog/zelf/M.....
[8] Dornell, Kevin and Himidullah, Seyed, XXXX, in: Geological Bulletin of the University of Reshawar, Vol. 25, 1992, p.115