Shaksgam Expedition 2014
Ein schmaler Grat zwischen Erfolg und Tragödie
1. Zielgebiet, politische Situation und Sicherheitslage
Unser Zielgebiet für 2014 waren die unbestiegenen Berge der Durbin Kangri Gruppe in einem Seitental des Shaksgam, im Aghil Gebirge, Nordseite des Karakorum. Das Shaksgam Tal bildet dort stellenweise die Grenze zwischen China und Pakistan – unsere namenlosen Sechstausender befinden sich auf der chinesischen Seite, in der Provinz Xinjiang.
Xinjiang ist sowohl politisch als auch militärisch ein sehr sensibles Gebiet in der Volksrepublik. Historisch waren die Grenzgebiete zwischen China, Indien und Pakistan schon immer umstritten. Das Shaksgam, das östlich bis an das indische Kashmir reicht, wurde nach den Grenzkonflikten mit Indien von 1955 bis 1962 durch China annektiert, weitere Teile 1963 von Pakistan an China übertragen und verbleibt bis heute militärisches Sperrgebiet. Dass dieser Konflikt bis heute nichts an seiner Aktualität und Brisanz verloren hat, zeigte sich noch im Mai 2013, als es in Depsang/Aksai Chin zu einem Grenzkonflikt kam, bei dem chinesische Truppen auf indisches Territorium vordrangen und sich beide Armeen gegenüber standen.
Chinas Westprovinz ist auch innenpolitisch ein sehr sensibles Gebiet, seitdem die ursprünglich ansässigen Bevölkerungsgruppen, vor allem die Uighuren, gegen die Dominanz der Han Chinesen aufbegehren. Die staatliche geförderte, massive Ansiedlung der Han drängt die angestammte Bevölkerung in die Minderheit. Der wirtschaftliche Erfolg der Han Chinesen, verbunden mit dem fehlenden Feingefühl bzw. der empfundenen Intoleranz der Zentralregierung gegenüber dem Islam, Diskriminierung der Minderheiten (Zugang zu Hochschulen, Genehmigungen und Zulassungen in der Wirtschaft etc.), Zwangsansiedlung der Nomadenvölker (wie bspw. die Kirgisen), schürt bei den Minoritäten die Angst vor Überfremdung. Die daraus resultierende Aggression ist in der Vergangenheit immer wieder durch Unruhen offen zu Tage getreten. Diese Aufstände schüren bei der Zentralregierung wiederum die Angst vor Separatismus und lassen die Regierung mit harter Gewalt kompromisslos durchgreifen. So gab es 2009 in der Provinzhauptstadt Urumqi eine Revolte mit 184 Toten. Aber auch dieses Jahr gab es mehrere blutige Zwischenfälle. In diesen Fällen neigt die Zentralregierung zu Überreaktionen, bei denen häufig Permitanträge von Touristen abgelehnt und auch bestehende Genehmigungen wieder zurück gezogen werden und somit eine Expeditionsplanung erschweren.
Dabei ist ausdrücklich zu betonen, dass ausländische Touristen niemals Ziel von Anschlägen waren und beide Seiten den Tourismus willkommen heißen. Gastfreundschaft ist besonders bei der islamischen Bevölkerung in unserem Zielgebiet ein sehr hohes Gut.
In der Summe resultiert daraus das Problem, dass man die Vielzahl an benötigten Permits nur über Agenturen, die in enger Zusammenarbeit mit der China Xinjiang Mountaineering Association (CXMA), den Provinzbehörden und dem Militär stehen, erhalten kann.
Aufgrund dieses vergleichsweise komplizierten und kostspieligen organisatorischen Aufwands, haben wir uns mit zwei weiteren Bergteams unter der Leitung von Bruce Normand zusammengeschlossen:
- Bruce Normand (Schottland), Dmitry Shapovalov (Ukraine), Jesse Mease, Rob Duncan (USA)
- Peter Mežnar, Aleš Holc (Slowenien)
- Harry Kirschenhofer, Lukas Brexler, Christof Nettekoven (Deutschland)
2. Anreise über Bishkek/Kirgistan – Torugart Pass – Kashgar/Xinjiang - Yilik
Unser Abenteuer begann am 14.06.2014 nach kleineren Diskussionen mit Turkish Airlines über plötzlich nicht mehr aufzufindende Bestätigungen für unser Sportgepäck, mit einem Flug von Frankfurt über Istanbul – wo wir unsere slowenischen Teammitglieder Aleš Holc und Peter Mežnar trafen – nach Bishkek, der Hauptstadt von Kirgistan.
In Bishkek landeten wir in der Nacht auf den 15.06.2014 um 2:40 Uhr, aber unser Weitertransport stand schon bereit: Im Wohnmobil mit reichlich Platz traten wir die 540 km durch das Tien Shan Gebirge stilvoll an. Wir erreichten schon sehr früh die Stadt Naryn, entschieden uns aber, den üblichen Zwischenstop für eine Übernachtung auf dem Weg zum Torugart Pass zu überspringen und bis Tash Rabat (3.200m) weiter zu fahren. Tash Rabat (kirg. für Steinfestung) ist bekannt für eine alte befestigte Karawanserei auf der alten Seidenstrasse. Die im Tal ansässigen Yurtenlager erlauben eine bequeme Übernachtung, die wir unseren Zelten gerne vorzogen. Den restlichen Tag nutzten wir zu einer kleinen Akklimatisationswanderung auf 3.500m.
Am nächsten Morgen des 16.06.2014 ging es um 6:00 weiter zum nächsten Militärcheckpoint und über Schotterpisten erreichten wir schließlich die lange Schlange von LKW, die vor dem Grenzposten warteten. Unser Fahrer entschloss sich kurzer Hand für eine Offroadeinlage und so fuhren wir mit dem Wohnmobil neben der Piste an dem Stau wartender Fahrzeuge vorbei zur kirgisischen Grenzstation, die uns nach kurzer Kontrolle und den nötigen Formalitäten zum chinesischen Grenzübergang weiterfahren ließ. Bei den Chinesen auf der anderen Seite der Grenze mussten wir schon etwas mehr Geduld mitbringen – es gibt insgesamt drei Checkpoints, die den Reisenden sorgsam untersuchen bevor man offiziell chinesischen Boden betreten kann. Aber der Reihe nach: Unser chinesischer Guide Adil nahm uns am Torugart Pass in Empfang. Denn ohne organisierten Weitertransport darf man den Pass nicht überschreiten. Einige Kilometer weiter wurden unsere Expeditionstonnen vom ersten Checkpoint sporadisch zerpflückt. Auch Fotos auf den Kameras wurden überprüft, wir könnten ja Militärgeheimisse verraten. Für etwas Ablenkung sorgten unsere Uhren, von denen sich die chinesischen Soldaten besonders begeistert zeigten.
Der nächste Kontrollpunkt diente nur der Passkontrolle und die letzte Hürde stellte die eigentliche Zollstelle dar, die neben Röntgenaufnahmen unserer Gepäckstücke auch die ersehnten Einreisestempel vergibt, mit denen wir endlich in das Reich der Mitte entlassen wurden. Wir staunten nicht schlecht über die perfekt ausgebaute Autobahn, auf der wir die weiteren 160km nach Kashgar rasend schnell hinter uns brachten. In der Altstadt trafen wir endlich Bruce, Dmitry, Rob und Jesse. Die letzten Einkäufe zur Vervollständigung unserer Expeditionsküche wurden erledigt.
Am 17.06.2014 besuchten wir vormittags den Großmarkt um Trockenobst zu kaufen, das unser kulinarisches Angebot abrunden sollte. Mittags beluden wir unsere drei Jeeps mit derExpeditionsausrüstung und starteten unsere Fahrt auf der südlichen Seidenstrasse entlang der Taklamakan Wüste an Yarkand vorbei nach Kargahlik, wo wir übernachteten.
Denn am 18.06.2014 wartete die längste Etappe mit 10h Fahrt auf uns. Zu Beginn führte der asphaltierte Xinjiang-Tibet Highway südlich durch das Kun Lun Gebirge über den Akkes Dawan Pass (3.200m) gefolgt vom Chiragsaldy Pass (5.000m) nach Mazar. Auf dem Weg sind mehrere Polizei- und Militärkontrollpunkte zu passieren. Hier verließen wir den Xinjiang-Tibet Highway und folgten der Schotterpiste bis ins Aghil Gebirge zu der Kirgisensiedlung Yilik (Illik), dem Endpunkt der Jeeppiste. Wir trafen unseren Karawanenführer „Daniel“ Danyar und wurden in sein Haus geladen, wo wir auch übernachteten. Die Ausrüstung wurde ein letztes Mal sortiert.
3. Anmarsch von Yilik in das Shaksgam Tal und bis zum Basislager
Früh morgens am 19.06.2014 wurden die Kamele herangeführt und mit der Ausrüstung beladen. Eine langwierige Zeremonie, die sich die nächsten vier Tage wiederholen sollte. Aber die Trampeltiere können auch durchaus widerspenstig sein. Ihr Missfallen drücken die Wiederkäuer durch gezieltes Ausspucken ihres grünen Mageninhaltes aus. Ein farbenfrohes und herrlich duftendes Erlebnis!
Unser Anmarsch folgte zu Beginn kurz dem Zulauf des Zug Shaksgam Flusses (=falscher Shaksgam), der bei Yilik in den Yarkand Fluß mündet. Nach wenigen Kilometern erreichten wir den Zusammenfluss von Zug Shaksgam und Surukwat Fluss. Wir folgten Letzterem und stiegen dafür die mächtigen Flussterrassen weit über hundert Meter tief ab. Der Talboden liegt manchmal so tief, dass man gar nicht über die gigantischen Konglomeratklippen hinaus schauen kann.Wir marschierten den ganzen Tag über Schotter und Kieselsteine am Surukwat Fluss entlang und schlugen unser Lager an einem kleinen, klaren Seitenfluss auf. „Karager Sukatlesh“, (schwarzer Fels am Zusammenfluss) nennen die kirgisischen Nomaden diesen Lagerplatz auf ca. 3.680m Höhe.
Da es die ganze Nacht und auch am Morgen des 20.06.2014 regnete, verschob unser Karawanenführer den Weitermarsch. Denn das Gelände wurde deutlich anspruchsvoller und die Kamele verlieren bei Regen mit ihren breiten Fußauflagen auf den steilen, schmalen Lehmanstiegen leicht den Halt und drohen abstürzen. Bis zum Mittag klarte der Himmel wieder etwas auf, der Regen ließ nach und so kam unsere kleine Karawane wieder in Bewegung. Hier führte noch eine kleine Holzbrücke über den tobenden Surukwat Fluss, die letzte trockene Flussüberquerung auf unserer Tour. Steile An- und Abstiege in exponierter Lage erforderten stellenweise eine hohe Aufmerksamkeit. Nasskaltes Wetter begleitete uns den ganzen Tag, bis wirnahe der Gabelung von Surukwat Tal und Zugang zum Aghil Pass unser Lager auf ca. 3.800m Höhe aufschlugen, dass die Einheimischen „Saratash Igil“ (Tiergatter am gelben Fels) nennen. Entsprechend, vollständig mit Tierdung übersäht, sah unser Lager dann auch aus. Von der wunderschönen Wiese nur ein par Kilometer weiter, hatte Danyar uns leider nichts gesagt.Der Schneeregen verwandelte sich in reinen Schnee, so dass wir am 21.06.2014 in einer weißen Schneepracht aufwachten. Die auf dem Boden kauernden Kamele hatten sich in kleine Schneehaufen verwandelt, zeigten sich aber völlig unbeeindruckt, so dass wir den Anstieg zum schneebedeckten Aghil Pass angehen konnten. Von dieser Seite zieht sich der Anstieg über weite Strecken, aber mit geringer Steilheit. Trotzdem machte sich die Höhe von 4.805m bei uns noch bemerkbar. Kurz vor Erreichen der Passhöhe passierten wir den Bergsee, der schon von Younghusband beschrieben wurde. Der Abstieg vom Pass ist wesentlich steiler. Am Fuße angekommen bewunderten wir das beeindruckende Panorama des Shaksgam Tals – unfassbare Dimensionen, jeglicher Maßstab verliert hier seine Bedeutung. Am Horizont machten wir die Spitzen der unbestiegenen Siebentausender aus. Aber auch hier mussten wir zuerst einen Weg von den Konglomeratklippen hinunter in das teilweise mehrere hundert Meter breite Shaksgam Flussbett finden. Dort meandert der Shaksgam Fluss manchmal in dutzend kleinere Ströme aufgeteilt, dann wieder als eine breite Wassermasse durch das endlose Tal. Wenn der Strom von einer Klippenseite an die andere schlägt, blieb uns nichts anderes übrig als den Fluss zu durchwaten. Aber jetzt, zu unserer Zeit, war der Wasserpegel noch moderat und auf den Rücken der Kamele zu durchqueren. Dies ändert sich Ende Juli/Anfang August, wenn die steigenden Temperaturen das Schmelzwasser, vor allem von den riesigen Gletschern von den Nordflanken der Achttausender gespeist, so dermaßen anschwellen lassen, dass es auch den Kamelen nicht mehr möglich ist durch diese Wassermassen zu kommen. Erst im Herbst bei sinkenden Temperaturen geht dann auch der Pegel des Shaksgam wieder zurück. Dies ist vielleicht der aller wichtigste Faktor, der bei einer Expeditionsplanung für das Shaksgam Tal zu beachten ist! Wir schlugen unsere Zelte an einer sandigen Uferstelle mit Gebüsch für die Kamele und sauberem Wasser für uns auf.
Die Nacht auf den 22.06.2014 regnete es, wie auch fast den ganzen Trek. Dreimaliges Durch-queren des Hauptflusses hielt uns auf. Wir waren mehr Leute als Kamele und ein ständiges Hin und Zurück hätte zuviel Zeit in Anspruch genommen. Also balancierte ein Teil des Teams auf den voll bepackten Trampeltieren durch den Fluss, während sich die anderen Teammitglieder durch die eiskalte, hüfthohe Strömung kämpften. Abgesehen von einem kleinen Kameraschaden, sind Mensch, Tier und Ausrüstung wohlauf durch den Fluss gekommen. Endlich erreichten wir unser Seitental. Wir marschierten soweit wie möglich – und soweit wie die Kamele bereit waren – in das Seitental hinein bis zur Talgabelung. Hier teilt sich das noch breite Seitental in zwei enge Schluchten, durch die die Gletscherflüsse der beiden Durbin Kangri Hauptgipfel strömen. Unser Basislager errichteten wir auf 4.142m (N 36°02 ́34,6 ́ ́ E 76°42 ́08 ́ ́).
4. Basislager – Hochlager - Gipfel
Unser Basislager lag eigentlich zu tief mit 4.142m. Aber durch die enge Schlucht ist eine Verschiebung des gesamten Materials nicht möglich.
Am 23.06.2014 begann Harry zusammen mit dem Team um Bruce den ersten Materialtransport durch den südöstlichen Canyon, während Lukas und Christof sich noch im Basislager ausruhten. Zeitgleich startete Aleš und Peter die Erkundung durch die nordöstliche Schlucht zur Nordseite des Durbin Kangri II. Bei Harry´s Rückkehr konnte man ihm die Strapazen des Zustiegs durch den Canyon am Gesicht und an der zerrissenen Hose ablesen und so beschrieb er auch die äußerst mühevolle Route.
Die nächsten drei Tage (24-26.06.2014) verbrachten wir damit, unsere Ausrüstung durch den Canyon zu schleppen. Auch Harry setzte ein Mal zur Erholung aus, denn der Materialtransport durch die Schlucht war die reinste Qual. Der Canyon verjüngt sich stellenweise auf weniger als 2m, mit Felsbrocken gespickt und permanentem Steinschlagrisiko ausgesetzt. Ständig musste man mit vollem Gepäck von Fels zu Fels über den Gletscherfluss springen, kletterte über teils haushohe Felsbrocken, dann musste man wieder unter den Felsen durchkriechen und wenn es gar nicht mehr anders ging, die steilen steinschlaggefährdeten Konglomerathänge traversieren. Zwischendurch erleichterten kleine Toteisfelder das Vorwärtskommen mit ihren Eisbrücken. Dieser Zustieg kostete die letzte Kraft. Wir benötigten für einen geringen Höhengewinn von nur 300HM auf einer Gesamtlänge von ca. 5 km ganze vier Stunden bis zum vorgeschobenen Basislager, kurz vor der Gletscherzunge. An dieser Stelle breitete sich die Schlucht wieder aus und bot mit einer klaren Wasserquelle eine gute Alternative zum rot-braunen Gletscherfluss. Am Abend berichtete Bruce per Funk von seinen Akklimatisationstouren, auf denen er ein Gletscherbecken als geeignetes Depot, bzw. Hochlager für unsere Bergziele ausgemacht hatte. Dies steigerte unsere Stimmung ungemein. Sahen wir doch jetzt wieder die Möglichkeit unserem vorgesehenen Zeitplan nahe zu kommen.
Am Morgen des 27.06.2014 starteten wir um 6:00 mit dem Transport zum geplanten Depot. Schnell erreichten wir über die gefrorenen Wasserkaskaden die Gletscherzunge, die sich als kniffliger als erwartet zeigte. Ein direkter Aufstieg über die steile Eiswand der Gletscherzunge war schon alleine durch die herabregnenden Steine unmöglich. Rechts bot sich brüchiger Fels als Alternative an. Mit zeitlichem Abstand rannte jeder einzeln, so schnell er denn mit dem Gepäck auf dem Rücken konnte, an der Gletscherzunge vorbei zur Felswand. Diese ermöglichte einen wesentlich leichteren Zugang. Oben angekommen warteten die gewaltigen Moränen des Durbin Kangri I auf uns. Um unser Tagesziel zu erreichen führte unser Weg mit dem Material weiter von den Schottermoränen über den Gletscher direkt unter dergigantischen Durbin Kangri I Nordwand vorbei. Die Spuren von Bruce und seinem Team erleichterten unsere Wegsuche durch die Spaltenzone ungemein. An den Seracs der beeindruckenden Nordwand vorbei erreichten wir das große Gletscherbecken wo wir unser Materialdepot und später unser Hochlager auf 5.409m errichteten (N 36°00 ́19,8 ́ ́ E 76°47 ́28,9 ́ ́). Wir stiegen die 1.000 Hm wieder ab in unser vorgeschobenes Basislager um am nächsten Tag endgültig unsere restliche Ausrüstung nach oben zu verschieben. Christof, der durch eine größere Operation nur zwei Wochen vor Reisebeginn nicht im Vollbesitz seiner Kräfte war, musste am 28.06.2014 zur Erholung absteigen, während Harry und Lukas das Zelt und die fehlende Ausrüstung hinauf in das Zwischenlager auf 4.861m trugen. Für den Fall, dass Christof nicht mehr rechtzeitig nachkommen würde, wollte sich Dmitry aus dem Team von Bruce uns anschließen. Da wir eh für drei Personen geplant hatten, genug Verpflegung, ein drittes Paar Schneeschuhe und Platz im Zelt hatten, sprach nichts dagegen
Am 29.06.2014 hatte es nachts wieder geschneit. Harry und Lukas stiegen wieder zum Depot auf um endgültig das Hochlager zu beziehen. Der Platz für das Zelt auf dem Moränenrücken war schnell eingeebnet. Da es aber extrem heiß war, bauten wir nur das Innenzelt auf, legten die Schlafsäcke drüber und uns gleich darunter in den luftigen Schatten um etwas zu dösen. Dmitry vervollständigte die Dreierseilschaft. Am nächsten Tag wollten wir den geplanten Gipfelgang starten.
Als in der Nacht am 30.06.2014 der Wecker um 2:00 Uhr klingelte, stürmte und schneite es draußen bei gleichzeitig recht warmen Temperaturen. Wir warteten zwei geschlagene Stunden ab, aber keine Wetterverbesserung trat ein. Also legten wir uns nochmals hin und wachten bei Sonnenschein wieder auf. Die Freude währte nur kurz, bei dem Blick auf die Uhr erschraken wir, es war bereits 8:00 Uhr! Wir haben völlig verschlafen. Und obwohl alles dagegen sprach, beschlossen wir um 9:15 Uhr trotzdem aufzubrechen und zu versuchen, soweit wie möglich zu kommen. Bei dem tiefen Schnee zahlten sich die Schneeschuhe aus – jegliche Diskussion im Vorfeld der Expeditionsplanung, ob wir die Schneeschuhe wirklich mitschleppen sollten, war vergessen. Ohne Schneeschuhe wäre der Weg durch das Gletscherbecken schon mühsam gewesen. Aber der Gipfeltag gar unmöglich und zum Scheitern verurteilt. Nun machten wir rasche Fortschritte, auch weil Dmitry und Lukas sich einen Osprey Rucksack teilten und somit immer einer im Dreierteam ohne Rucksack die Spurarbeit übernehmen konnte. Die Querung vom Zelt weg zu der Wand war rasch zurückgelegt. Von dort ging es in langen Querungen im Zickzack bergauf. Zwischen einem Felsriegel und einer Felsspitze querten wir leicht rechts haltend zum ersten Gratabschnitt hoch. Diesem Grat folgten wir bis ein Felsturm den Weg versperrte. Hier mussten wir auf Steigeisen umsteigen und mit den Eisgeräten in das wesentlich steilere Gelände nach links unter den Felsen entlang queren (50°). Als wir den Wächter umgangen hatten, erfolgte der Ausstieg zurück auf den Grat, der sich bis zum Gipfel zog. In mühsamer Spurarbeit arbeiteten wir uns durch den Tiefschnee, der uns bis zu den Oberschenkeln reichte. Kurz vor dem Gipfel versperrte uns eine Querspalte den Weg. Trotz viel zu warmer Temperaturen hielt die Schneebrücke und wir konnten den Gipfel mit einer Höhe von 6.102m und den Koordinaten N 36°01 ́06,8 ́ ́ E 76°47 ́38,4 ́ ́ schließlich um 13:30 Uhr erreichen. Es war ein unbeschreibliches Gefühl auf dieser Schneepyramide umgeben von den beiden gewaltigen Durbin Kangri Gipfeln zu stehen und dieses atembe-raubende Panorama zu genießen.Vor allem die gewaltige Nordwand des Durbin Kangri I mit den sporadisch abgehenden Lawinen war sehr beeindruckend. Auch unsere beiden Alternativgipfel P1 (6.453m) und P2 (6.290m) waren zu sehen. Unser geplanter Zustieg zu diesen beiden Zielen wurde allerdings durch eine weitere enge Schlucht und einen Hängegletscher versperrt. Da unsere kleine Schneepyramide vom Durbin Kangri I (6.824m) und Durbin Kangri II (6.898m) klar dominiert wurde, tauften wir unsere Gipfel auf den gleichlautenden chinesischen Namen „XIAO KANGRI“ (kleiner Schnee- bzw. Eisberg). Leider konnten wir uns nicht zu lange auf dem Gipfel aufhalten, da schon wieder schlechtes Wetter im Anflug war. Die Spurarbeit vom Aufstieg steckte uns noch in den Knochen, aber wir mühten uns durch den Abstieg hinunter. Bei leichtem Schneefall und in Wolken gehüllt, erreichten wir um 15:30 Uhr unser Zelt. Kochen, Essen, Telefonieren und Schlafen – in dieser Reihenfolge endete der Tag.
Am 01.07.2014 erfolgte der Abstieg bis ins Zwischenlager auf der Moräne, wo wir auf Bruce, Jesse und Rob trafen. Zusammen stiegen alle sechs Mann weiter ab bis unterhalb der Gletscherzunge, wo Christof im vorgeschobenen Lager mit Tee wartete. Gemeinsam ging es dann in die Schlucht hinein. Der Wasserpegel war durch die hohen Temperaturen schon deutlich gestiegen, so dass alte Wege vom Wasser verschlungen wurden und stellenweise eine neue Wegführung gesucht werden musste. Teilweise waren auch die nützlichen Eisbrücken der Toteisfelder schon weggebrochen und der ständige Seitenwechsel mit vollem Gepäck über den reißenden Gletscherbach wurde immer schwieriger. Ohne die gegenseitige Hilfe des gesamten Teams wäre ein Durchmarsch kaum noch möglich gewesen. Bei einem weiten Sprung rutsche Harry ab und stürzte hüfttief in den Fluss, konnte sich aber noch am Fels festhalten und sich mit Unterstützung der anderen wieder herausziehen. Wir waren alle froh, als wir endlich wieder das breite Tal und schließlich unser Basislager erreichten. Aber unser selbstgebautes Wasserbasin, in dem sich vorher klares Wasser gesammelt hatte, war von den lehmigen Fluten völlig überspült worden. Für Trinkwasser mussten wir nun die weit entfernten Quellen aufsuchen. Peter und Aleš nahmen uns im Basislager in empfang und unsere erste Gipfelfeier nahm Gestalt an. Das „Salami-Zwiebel-Knoblauch-Brot“, das Aleš zaubern wollte, missglückte leider völlig. Aber bester slowenischer Bergkäse und unsere für die Feier aufgehobene „Gipfelsalami“ kompensierten den Verlust.
Am 02.07.2014, kurz vor dem Rückmarsch wollten Dmitry und Lukas noch einen unbestiegenen Felsturm nord-westlich von unserem Basislager angehen. Sie folgten der Route von Aleš und Peter auf den „Kamnik Pass“. Diesen hatten die Slowenen eine Woche zuvor eröffnet und nach ihrer Sektion benannt. Ebenfalls gelang Aleš und Peter die nennenswerte Erstbesteigung eines 6.200m Gipfels im Tal des Durbin Kangri II. Zu einer Namensgebung durch Aleš und Peter sollte es für den Gipfel mit den Koordinaten N 36°4´22.476´´, E 76°47´12.8328´´ leider nicht mehr kommen. Vom Sattel des Kamnik Pass aus erreichten Dmitry und Lukas den Gipfel über brüchigen Fels und Konglomeratgestein, das eigentlich nur durch gute Hoffnung zusammengehalten wurde. Die Gipfelhöhe betrug 5.290m mit den Koordinaten N 36°03´12,6´´, E 76°42´27,4´´. Die beiden nannten den Gipfel „Kulchintubulak Tower“.
Die beiden Folgetage vom 03.07. – 04.07.2014 verbrachten alle Teams aufgrund des schlechten Wetters gemeinsam im Basislager. Wir entspannten, ließen es und gut gehen, bereiteten unser Gepäck für den Rückmarsch vor und erleichterten es um alle Köstlichkeiten, die noch zu finden waren.
Am Morgen des 05.07.2014 traf Danyar mit zwei Kamelen im Basislager ein und so konnten wir zusammen mit Dmitry unseren Rückmarsch antreten. Die beiden restlichen Teams verblieben noch zwei Wochen länger im Zielgebiet um die fast 7.000er zu besteigen. Bis hier hin war dies sicher eine der schönsten Expeditionen die ich jemals unternommen hatte. Aber leider nahm das Schicksal ab hier eine andere, tragische Wendung. Bereits wieder in Deutschland angekommen, erhielten wir von Bruce die verstörende Nachricht, dass Peter und Aleš nicht zum vereinbarten Termin wieder ins Basislager zurück gekehrt seien. (Der Satellitenkontakt war schon vor Tagen abgebrochen, die Slowenen hatten allerdings schon vorher Probleme mit der Energieversorgung, weshalb wir wegen fehlender Nachrichten zuerst nicht besorgt waren.).Bedingt durch einen extremen Temperaturanstieg kam es zu einem dramatischen Anschwellen der Gletscherflüsse in den engen Canyons – auch die Eisbrücken der Toteisfelder brachen weg. Es gab kein Durchkommen mehr, das Tal der Slowenen blieb für Bruce Normand und sein Team unerreichbar! Die Tage verstrichen bis die chinesische Armee, wider Erwarten, doch noch einen Hubschrauber frei gab. Aber auch diese Bemühungen blieben ergebnislos. Aleš Holc und Peter Mežnar bleiben an der Nordwand des Durbin Kangri II verschollen. Sie hinterlassen jeweils eine Frau und drei Kinder.
In Gedenken an Aleš und Peter und zur
Unterstützung ihrer hinterbliebenen Familien hat der slowenische Alpenverein Kamnik ein Spendenkonto eingerichtet:
Kontoinhaber (Slow. Alpenverein Kamnik): Planinsko društvo Kamnik
Adresse: Šutna 42, 1240 Kamnik
IBAN: SI56 0231 1026 1048 689
SWIFT: LJBASI2X
(Der Slowenische Alpenverein Kamnik stellt auch gerne Spendenquittungen auf Deutsch aus, Anfrage bitte an ao.kamnik@gmail.com)